Wie bringt man ein Produkt auf den Markt, von dessen Existenz noch niemand etwas gehört hat?

Wer würde seine Krankheit besingen lassen?

Suchmaschinenoptimierung ist dann am schwierigsten, wenn Kunden spannende Dienstleistungen anbieten, die niemand sucht. Die abgefahrenste und am schwersten zu bewerbende Dienstleistung, die ich je kennengelernt habe, war Heilung durch Töne: Die Kundin, ich nenne sie mal Maria Osterburg, ist ausgebildete Opernsängerin und Heilerin und besingt Krankheiten. Sie stimmt sich auf den Patienten ein und erzeugt Töne, die in ihrer Reihenfolge und Anordnung heilsam auf das Energiefeld des Kranken einwirken sollen. Den Gesang brennt sie auf eine CD, die der Patient in einer ganz bestimmten Häufigkeit anhören soll – nicht zu oft, sonst kommt es zu einer Überdosierung. Die Töne werden also wie ein Medikament eingesetzt.

Man kann darüber streiten, ob das wirklich funktioniert, aber darum geht es hier nicht. Gehen wir einfach davon aus, es funktioniert. Aber für welche Suchbegriffe um alles in der Welt soll man die Website optimieren?

Maria Osterburg ist überzeugt davon, dass ihre Leistung für alle Menschen gut ist. Aber tatsächlich ist ihr Kundenkreis sehr klein: Es werden nur solche Menschen diese Art von Therapie für wirksam halten, in deren Weltbild alles Energie bzw. Information ist und die auch Homöopathie und spirituelles Heilen kennen.

Es ist immer von essenzieller Bedeutung, zu wissen, wer mein Kunde ist!

Wer kauft Ihr Produkt? Auch wenn Sie etwas Breitentauglicheres verkaufen als Frau Osterburg, müssen Sie wissen, wie Ihr Kunde „drauf“ ist. Was ist seine Lebenssituation? Ist er in einer festen Beziehung oder Single? Hat er Kinder? Ist er Führungskraft oder Mitarbeiter? Welches Bildungsniveau hat er? Welche Musik hört er, welche Partei wählt er? Definiert er sich über Bildung oder über Besitz? Welche Filme schaut er gerne an – oder liest er lieber ein gutes Buch? Ist er humorvoll oder eher ernst? Mag er es gern schnell und einfach (konsumiert z.B. Fertigprodukte) oder definiert er sich über Gesundheit und tiefgehendes Fachwissen (dann kocht er wohl lieber alles frisch)?

Beispiel: In den 1950er Jahren wurde die Kuchenbackmischung erfunden – sehr praktisch, man musste nur Wasser zufügen. Aber das Produkt floppte. Als man nachforschte, was die Zielperson – die Hausfrau! – am Produkt störte, fand man heraus, dass sie sich in ihrer Hausfrauenwürde gekränkt fühlte: So einen tristen Kuchen konnte ja der doppellinkshändige Ehemann oder das 10jährige Kind zustande bringen! Die Produzenten der Backmischung überarbeiteten das Rezept und dann explodierte der Verkauf. Was war geändert worden? Die Hausfrau musste nun nicht nur Wasser hinzufügen, sondern auch ein Ei.

Sie müssen Ihren Kunden gut kennen, um zu spüren, was ihm wichtig ist, und zwar besonders, wenn Sie ein neuartiges Produkt auf den Markt bringen wollen, das noch niemand gegoogelt haben kann. Die Hausfrau aus den 1950ern fühlte sich schließlich auch nicht entlastet von dem neuartigen „Wasserkuchen“, sondern in ihrer Ehre beleidigt. Kann sich der Kunde von Frau Osterberg vorstellen, dass diese Therapieform funktioniert? Gibt es jemanden, der sich das vorstellen kann? Sind es genügend, dass sie davon leben kann?

Der Kunde steht am anderen Ufer eines breiten Flusses und kennt Sie nicht.

Wenn Sie den Kunden dann ermittelt haben, steht er in der Regel nicht aufmerksam und neugierig vor Ihnen, begierig, möglichst viel über Ihr tolles Produkt zu erfahren. Nein, er ist zunächst unerreichbar, sagen wir, am anderen Ufer des Ganges (der Ganges ist seeehr breit!). Er lebt vor sich hin, geht seinen täglichen Arbeiten nach und weiß nichts von Ihrer Existenz. Wie macht man jemanden auf sich aufmerksam, den man nicht direkt auf der Straße ansprechen kann?

Das Nächstliegende funktioniert leider nicht: Das wäre im Fall von Frau Osterburg “Heilung durch Töne in München” die Website zu verarbeiten wie im Artikel “Suchmaschinenoptimierung – nochmal langsam und zum Mitschreiben” erklärt. Wenn überhaupt jemand nach diesen Begriffen sucht, dann sind es so wenige, dass man davon nicht leben kann.
Ohne die Benutzung des Google Keyword Analyse Tools kommt man nicht weiter. Ich hatte meine Website z.B. eine Zeitlang auf Webdesign Heilberufe optimiert. Das klingt logisch, weil ich viele Heilpraktiker als Kunden habe. Das Problem war: Scheinbar googelt das niemand. Spirituelles Webdesign hat zwar nicht viele Suchanfragen, aber immerhin zwischen 50 und 90 im Monat. Und da ich bei Google auf der ersten Seite stehe, reicht diese geringe Zahl. Es genügt also nicht, wenn Ihnen Ihre Suchbegriffe logisch und naheliegend erscheinen. Sie dürfen nicht von sich ausgehen, sondern müssen sich immer in den Kunden hineinversetzen!

Tipp 1: Man fragt Bestandskunden, was sie gegoogelt haben und arbeitet die so erhaltenen Begriffe in die Website ein.
Der Nachteil dieser Methode: Ihre Bestandskunden können sich vielleicht nicht mehr an den Zustand erinnern, in dem sie Sie nicht kannten. Die gegebenen Begriffe stimmen daher vielleicht nicht. Zudem wissen sie ja schon, was Sie hören wollen. Vielleicht haben sie Sie auf Umwegen gefunden und können gar nicht mehr rekonstruieren, was sie wirklich gesucht hatten. Oder Sie wurden ihnen persönlich empfohlen. Bei ausgefallenen Produkten funktioniert diese Methode daher nur bedingt. Trotzdem kann man nicht auf die so gewonnenen Informationen verzichten, weil man SEO-technisch ja irgendwo beginnen muss. Als erste Maßnahme genügt es erst einmal – man kann ja eine Weile beobachten, wieviel Traffic dabei herauskommt.

Ihr Kunde sucht einen rosa Elefanten. Sie sagen, dass Sie zwar keinen rosa Elefanten haben, aber ein grünes Nilpferd.

Tipp 2: Man fühlt sich in den Zielkunden ein und spürt, was er suchen könnte. Wenn das Produkt unbekannt ist, wie im Fall von Frau Osterberg, kann man nicht davon ausgehen, dass der Zielkunde heilung durch töne googelt. Er wird ganz andere Begriffe eingeben. Er sucht also einen rosa Elefanten, Frau Osterberg hat aber nur ein grünes Nilpferd. Die Aufgabe besteht darin, den Kunden auf eine Website zu locken, wo grüne Nilpferde verkauft werden, obwohl er einen rosa Elefanten gesucht hat.
Vielleicht googelt der Kunde Symptome* oder energetische medizin, geistheilung, körpertherapie. Dies wären die rosa Elefanten. Mittels Google Keyword Analyse Tool  untersucht man, wie oft die Begriffe gesucht werden.
Wenn Frau Osterberg einen Treffer gelandet hat, weil z.B. energiemedizin münchen monatlich vierzigmal gesucht wird und der Wettbewerb mit “niedrig” angegeben wurde (das habe ich mir gerade ausgedacht und nicht überprüft), kann sie diesen Begriff in ihre Website einbauen, auch wenn er nicht passt. Sie kann ihn z.B. in der Überschrift einfach negieren: „Heilung durch Töne ist zwar keine Energiemedizin, aber…“ oder abschwächen: „Heilung durch Töne, die andere Art der Energiemedizin“. Das grüne Nilpferd ist Heilung durch Töne, doch man kann es nur bewerben, wenn man den rosa Elefanten ebenfalls erwähnt.

Anderes Beispiel: Auf dem Lindenhof bei Ober-Ramstadt findet ein Solidarisches Gartenbauprojekt statt: Die Mitwirkenden zahlen 80,- pro Erwachsenem im Monat, und ein Gärtner baut das Gemüse an. Diese Art von Gartenbau ist den meisten Interessenten besser bekannt unter dem Begriff solawi, also solidarische landwirtschaft. Dem Gärtner ist es aus ethischen Gründen jedoch wichtig, den Begriff Landwirtschaft nicht zu benutzen, weil er Wirtschaft gerade vermeiden will. Dennoch muss man ihn für die SEO verwenden, sonst findet niemand das Projekt.

Wenn der Kunde auf der Seite angelangt ist, besteht die hohe Kunst darin, den Kunden davon zu überzeugen, dass ein grünes Nilpferd ebenso gut ist wie ein rosa Elefant – oder sogar besser. Aber das ist dann nicht mehr SEO, sondern Werbetext.

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*) Bei Heilangeboten sollte man immer das Heilmittelwerbegesetz im Blick haben, daher sollten Sie auf Ihrer Website nicht zu vollmundig mit Symptomen um sich werfen.